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Vogti (oder stehlen)

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Vogti (oder stehlen)

Von Gerhard Krosien

„Wir alle sind nach über 70 Jahren brüderlicher Umarmung so geprägt worden, dass wir Litauer an allem Sowjetischen noch heute in reichlichem Maße teilhaben“, erklärt 1991 der alte litauische Briefpartner seinem deutschen Freund sarkastisch, „wer bei uns etwas besorgen musste oder etwas zu erledigen hatte, der nahm sich einfach „russisch Urlaub“. Das heißt, er schwänzte einfach seinen Dienst. Und das machen wir heute auch so weiter. Ist doch auch eine feine Sache!“

Staunen und Ungläubigkeit beim Freund zunächst. Aber eigene Erfahrungen bestätigen, dass dieses „System“ weiter praktiziert wird. Wer zum Beispiel in einer Kantine arbeitet, ernährt aus ihren Beständen die ganze Familie mit. Wer in einer Fabrik zu tun hat, nimmt sich beim Feierabend etwas Brauchbares aus der Produktion mit. Man wird das schon für irgendeinen Tausch gebrauchen können. Oder vielleicht lässt sich sogar Geld daraus machen? Am besten „Valuta“!

Auf jeden Fall wird auf diese Weise in Litauen heute Vermögen gebildet. Jedoch nur bei denen, die sich so etwas verschaffen können. Früher handelten damit solche Leute in Litauen mit den russischen Soldaten, jetzt gibt es ja die Touristen - oder die Litauer, die „Valuta“ haben!

Jeder dort weiß Bescheid. Allen ist klar, dass es um „vogti“ geht. Das ist dort bei Gott nichts Ehrenrühriges. Jeder macht das doch! Alle wissen es. Keiner verhindert das. Es wird ja nur genommen, was einem eh gehört. Und der Staat spürt den geringen Verlust doch gar nicht!

Auf diese Weise gibt es in Litauen wieder Klassen. Mindestens zwei: die Reichen und die Habenichtse. Nur - insgesamt geht es nicht recht voran!

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