- Dem Strande nicht fern, in Wald und Gebüsch –
- Noch zeiget man allerlei Spuren –
- Lag früher das große Osterwisch
- Auf seinen gesegneten Fluren.
- Auf üppige Wiesen der muntere Hirt'
- Zahlreiche Herden von Osterwisch führt:
- Feiste Kühe uud Kälber und Pferde.
- Und weiter hinaus am Baltisch Meer,
- Da weidet das weiße, wollige Heer,
- Sucht abends die schützende Hürde.
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- Kein Wand'rer entrann der Plünderung dort,
- Kein Fahrzeug, wenn sie es ereilten;
- Drinnen im Walde, da war der Ort,
- Wo gierig die Beute sie teilten.
- Es lebten die Menschen, als wär' kein Gott
- Und trieben mit allem, was heilig, Spott,
- Und lachten des Greises Belehren,
- Der sich, laut Sage, auf göttlich Geheiß
- Mit Thränen, Arbeit, Mühe und Fleiß
- Bestrebte, dies Volk zu bekehren.
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- Ein lustig „Hussah!“ der Jäger erschallt
- Dem schäumenden Keuler zum Spott und Hohn.
- Sie folgen der Fährte im Eichenwald;
- Für nichts man achtet di sumpfige Bahn.
- Und – horch! zu den Ohren dringt tief und dumpf
- Röcheln des sterbenden Schwarzwilds im Sumpf
- Zur Freude der Buben im Thale.
- Sie eilen, sie jubeln ins Dorf hinein:
- „Schon wieder fiel eben ein wildes Schwein,
- Auf, auf! und bereitet's zum Mahle!“
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- Schon früher war durchs zürnende Meer
- Ein großer Strich Landes verloren.
- „Auf! bauet den Deich, der den Fluten wehr',
- Der sich're das Dorf, Schutz geb' den Mooren!
- “So mahnte, so bat der lautere Greis.
- „Laßt durch Gemeinsinn, durch eisernen Fleiß
- Der Weisung des Himmels uns fügen.
- Ersticket die Bosheit, den bösen Neid,
- Und seid als Christen zu handeln bereit,
- Das Dienen sei euch ein Vergnügen.“
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- Die Frauen rief ab das feige Geheul
- Des Wolfes aus Stall und aus Stube.
- Bewaffnet mit Spieß, mit Bogen und Pfeil
- Eilen sie im Lauf au die Grube.
- Im Netz lag gefangen der Isegrim;
- Es nahten mutige Weiber sich ihm
- Und schossen laut lachend ihn nieder,
- Kehrten zum Dorf triumphierend zurück,
- Und sangen von Liebe, von Waffenglück;
- Sie sangen gar lustige Lieder.
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- „Verscherzt nicht Gottes Langmut und Huld,
- Damit wir der Strafe entgehen!
- Blutrot, ihr Brüder, ist unsere Schuld!“
- So hörte man täglich ihn flehen, –
- Man lachte der Warnung. „Grämlicher Thor!“
- So rief der Frechste der Rotte hervor,
- „Der Kahlkopf ist längst schon von Sinnen!“
- Doch in der Nacht noch dem Greise erschien
- Ein himmlischer Bote.„Auf, du muß flieh'n!
- Auf! eile,“ so sprach er, „von hinnen.“
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- War gleich die göttliche Lehre vom Heil
- Schon lange auch hieher gedrungen;
- Hatt' mancher auch an der Gnade teil,
- Die für uns der Heiland errungen.
- Doch wurden viele, die eben belehrt,
- Durch böse Exempel wieder bethört
- Und dienten von neuem den Sünden.
- So schwand im Dorfe Osterwisch hin
- Die gute Sitte, der biedere Sinn;
- Treu' und Glauben war kaum noch zu finden.
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- Wehe den Frevlern, der Herr ist gerecht!
- Der Heilige läßt sich nicht spotten! –
- Er flieht, er flieht, der getreue Knecht;
- Aengstiglich rufen Osterwischs Rotten.
- Was stürzet heraus mit Windes Gebraus?
- Gott läßt des Ozeans Furien aus,
- Den menschlichen Frevel zu rächen. –
- Weinend betet der Greis in der Zelle,
- Liegt aus den Knieen in der Kapelle:
- „Gnade, o Herr, den Seelen der Frechen!“
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