- Doch so rührend man auch immer bate
- In der unterthänigsten Supplik,
- Nie erfolgte drauf das Wort der Gnade,
- Niemals nahm das Urtheil man zurück.
- Der Verzweiflung nahe war die Lage
- Der bekümmerten Familie jetzt,
- Welche ihre Hoffnung für die Tage
- Ihrer Zukunft auf den Sohn gesetzt.
- Da entschloß sich des Verbannten Schwester,
- Zu dem Großherzoge hinzugehn,
- Und persönlich ihn mit felsenfester
- Zuversicht um Gnade anzuflehn.
- Und als Ludewig der erste hörte,
- Wie die Schwester für den Bruder bat,
- Er die Bitte absobald gewährte,
- Die sie auf den Knieen an ihn that.
- Kaum war wieder sie nach Haus gekommen,
- Kam von Gießen auch das Schreiben schon,
- Daß das Urtheil sei zurückgenommen
- Von des Bruders Relegation.
- Und wie reich belohnte sie die Freude
- Ueber sein, von ihr geschaffnes Glück,
- Und daß sie die Mutter aus dem Leide
- Führte zur Zufriedenheit zurück! —
- Als ich zehn, mein Bruder fünfzehn Jahre
- Alt geworden waren ganz genau,
- Sollten beide wir zweihundert baare
- Gulden holen auf der Rabenau.
- Deßhalb nahm mein Bruder eine Flinte,
- Ich des Vaters Degenstock zur Hand,
- Um, wenn etwa sich ein Räuber finde,
- Ihm zu leisten kräft'gen Widerstand.
- Glücklich kamen wir im hohen Winter
- Auf der Rabenau zusammen an;
- Denn wiewohl wir beide fast noch Kinder,
- Brachen durch den Schnee wir doch die Bahn.
- Da wir nun in unsern Büchsenranzen
- Von dem Großpapa das Geld gefaßt,
- Mußt's mein Bruder tragen auf dem ganzen
- Heimweg, weil mir war zu schwer die Last.
- Denn als ich's probirte, sie zu tragen,
- Fing sie an, bei jedem Schritte mir
- In die Kniekehl' dergestalt zu schlagen,
- Daß ich gleich mich wieder schied von ihr.
- Unser Rückweg war nicht ganz geheuer,
- Denn wir mußten darauf erst bestehn
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- Manches sonderbare Abenteuer,
- Eh' wir uns're Heimath konnten sehn.
- Erstens wollt' ich plötzlich, 's war zum Lachen,
- Grad den Weg, auf dem wir kamen her,
- Wieder allen Ernstes rückwärts machen,
- In dem Wahn, daß er der rechte wär'.
- Da mein Bruder deßhalb mich verlachte,
- Reizte er mich schnell dadurch zum Grimm,
- Und da er nach diesem auch nichts fragte,
- Warf ich mit dem Degenstock nach ihm.
- Komm, Du hast auf Irrkraut wohl getreten,
- Weil auf einmal Du so irre bist,
- Sprach er, und ich will um Alles wetten,
- Daß hier dies der Weg nach Grünberg ist!
- Dadurch konnt' er mir den Wahn nicht rauben,
- Als ich aber Mehrere gefragt,
- Mußt' ich endlich seinen Worten glauben,
- Weil sie alle ebenso gesagt.
- Als wir noch ein Stückchen weiter kamen,
- Bis in einen jungen Tannenwald,
- Wir auf einmal hinter uns vernahmen
- Ein gebieterisches, lautes „Halt!“
- Siehe da, ein Kerl in blauem Kittel
- Kam uns beiden schnellen Schrittes nach,
- Und es fiel mir auf sein dicker Knüttel,
- Weßhalb ich zu meinem Bruder sprach:
- „Hör', das ist kein ehrlicher Genosse,“
- „Wie man schon von Weitem sehen kann;“
- „Binde schnell das Tuch vom Flintenschlosse,“
- „Eh' er nahe kommt, und spann' den Hahn!“
- „Wenn er angreift, und die Flint' versagen“
- „Sollte, hat es doch noch keine Noth;“
- „Laß Dich ringend nur zu Boden schlagen;“
- „Trau' auf mich; ich stech ihn auf Dir todt!“
- Als er nah' war, rief mein Bruder muthig:
- „Kerl, drei Schritte uns vom Leibe bleib!“
- „Einen Schritt noch, und Du stürzest blutig;“
- „Denn die Kugel fährt Dir durch den Leib!“
- Und er stand und sprach: Ich wollt nur fragen,
- Ob das hier der Weg nach Grünberg sei?
- Doch sein Auge sprach: Darf ich es wagen?
- Werd' ich fertig wohl mit diesen Zwei?
- Da auf unser „Ja“ er bliebe stehen,
- Und nun mit uns wollte in die Stadt,
- Sprach mein Bruder: „Das kann nicht geschehen;“
- „Denn wir sind schon der Gesellschaft satt!“
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