- Noch ein anderes Erinnrungszeichen
- Einer anderen Fatalität
- Kann ich keinem Menschen leicht verschweigen,
- Weil mir's grade auf dem Kopfe steht.
- Köhler's Lorchen und Inspectors Jettchen,
- Beide ungefähr so alt wie ich,
- Und das letztere ein rundes Mädchen,
- Führten schmeichelnd in Versuchung mich.
- Auf des Baumes höchsten Wipfel sahen
- Sie die letzten Kirschen lüstern an,
- Denen ich nicht wagte mich zu nahen;
- Denn sonst hätte ich's schon längst gethan.
- Als sie mich nun beide freundlich baten:
- „Hole uns die Kirschen doch herbei!“
- Sprach ich: „Nein das kann mir nicht gerathen;“
- „Denn das Aestchen bricht mit mir entzwei!“
- „Daß Du uns die Kirschen holen könnest,“
- Sprach die Runde, daran zweifl' ich nicht;“
- „Wenn Du sie indessen uns nicht gönnest,“
- „Leiste gerne ich darauf Verzicht!“
- Da es schien, als wolle sie mir schmollen,
- Sagte ich: „Jetzt steige ich hinauf;“
- „Daß es nicht gelegen hat am Wollen“
- „Wird sogleich Dir zeigen der Verlauf!“
- Als ich reichte nach den Kirschen munter,
- Brach das schwache Aestchen mit mir ein,
- Und kopfüber stürzte ich herunter,
- Grade mit dem Kopf auf einen Stein.
- Jettchen sahe nun die blut'gen Früchte
- Seiner ausgesproch'nen Lüsternheit,
- Und ich sah ihm an in dem Gesichte,
- Daß es ihm von Herzen thate leid.
- Während es die Wunde hat gewaschen
- Sah es mich so weich und lieblich an,
- Daß ich, hätt' es nochmals wollen naschen,
- Gleich den Fall noch einmal hätt' gethan.
- Als ich völlig wiederum genesen,
- Und das Loch im Kopf geheilet war,
- Ist die Stelle lang so kahl gewesen,
- Daß man sah darauf kein einzig Haar.
- Endlich, als mit einem här'nen Kleide
- Diese Blöße wieder ward bedeckt,
- War dasselbe grad so weiß wie Kreide,
- Daß mein Haar von Stund' an blieb gescheckt.
- Sah man diese weiße mit den Jahren
- Gleich in blonde Farbe übergehn,
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- Kann man doch noch heut' an meinen Haaren
- Einen Unterschied der Farbe sehn.
- Auch ist mir aus früher Kindheit Tagen,
- Deren ich mich noch erinn're kaum,
- Wie ich ihn hier kürzlich vor will tragen,
- Im Gedächtniß ein besondrer Traum.
- Eine Frau, die Töpfe auf dem Kopfe
- Trug, und grinsend an mein Bettchen schritt,
- Wollte mich in einem großen Topfe
- Meinen Aeltern heimlich nehmen mit.
- Da ich meinte, daß mit mag'rer Tatze
- Eben sie mich angefasset hätt',
- Wacht' ich auf und war mit einem Satze
- Flugs bei meinen Aeltern in dem Bett.
- Und bei der besorgten Aeltern Fragen
- War mir's vor den Augen grün und blau,
- Daß ich weiter noch nichts konnte sagen,
- Als: „Die Töpferfrau! die Töpferfrau!“
- Denn ich hätte mögen darauf wetten,
- Daß ich nicht im Traume sie gesehn;
- Sondern daß sie hinter unsern Betten
- Irgendwo noch wirklich müsse stehn.
- Ja, die Angst, in die sie mich gejaget,
- War gedrungen mir durch Mark und Bein,
- Daß ich's hätte nicht sogleich gewaget,
- Wiederum zu schlafen ganz allein.
- Als schon Jahre drüber hingestrichen,
- Welche meiner Angst ein Ziel gesteckt,
- Haben meine Aeltern zum Vergnügen
- Mich noch mit der Töpferfrau geneckt.
- Einem Blutfink hatte vorgepfiffen
- Mein Papa: „Sag', was hilft alle Welt,“
- Und da es der Vogel gut begriffen“,
- War er ihm nicht feil um vieles Geld.
- Aber als mein Peitschchen sich geschlungen
- Um die Schnur, woran der Käfig hing,
- Und ich rasch dasselbe losgeschwungen,
- Riß ich auch die Schnur aus ihrem Ring,
- Und der Vogel, welcher pfiff so munter,
- Und so schön war, glänzend schwarz und roth,
- Fiel mit seinem Korbe schnell herunter,
- Und war augenblicklich mausetodt.
- „Jetzt bekommst Du aber harte Schläge,“
- Sprach die Mutter, „wenn's der Vater sieht!“
- „Mach Dich darum lieber aus dem Wege,“
- „Bis sich hat beruhigt sein Gemüth!“
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