- „Nein,“ sprach ich, „ich geh' nicht aus dem Wege,“
- „Da ich selber wohl begreifen kann,“
- „Daß verdient ich habe meine Schläge,“
- „Wenn's ich's auch gewiß nicht gern gethan!“
- Als der Vater aus der Kirch gekommen,
- Und zu Ende hatte angehört,
- Wie ich bei der Sache mich benommen,
- War er sehr betrübet und empört.
- „Einen Buckel voll wollt' ich Dir geben,“
- „Könntest Du den Vogel lebend schrei'n;“
- „Da er aber nicht mehr kommt in's Leben,“
- „Will ich Dir den Unverstand verzeihn!“
- Also sprach er traurig, und wie nahe
- Ihm der Tod des Lieblings ging an's Herz,
- Ich des andern Tages deutlich sahe,
- Als er ihn begrub mit großem Schmerz.
- Zweimal hab' ich zwar in meinem Leben
- Von ihm Schläg' bekommen, noch als Kind;
- Doch die ersten, die er mir gegeben,
- Hatte ich wahrhaftig nicht verdient.
- Auf der Brustwehr unsrer Treppe saßen
- Confirmanden-Mädchen in der Reih',
- Und ich fing mit ihnen an zu spaßen
- In der unschuldigsten Kinderei.
- Da ich nun mit einer Ofenkrücke
- Scherzend rannte auf die Mädchen los,
- Bog sich eins aus Furchtsamkeit zurücke,
- Ohne daß ich gab ihm einen Stoß.
- Als dasselbe nunmehr rückwärts thate
- Einen wohl vier Ellen tiefen Fall,
- Sah's mein Vater durch das Fenster grade,
- Und es schoß ihm über gleich die Gall'.
- Weil's ihm schien, ich hätt's hinabgestoßen,
- Kam sofort er zornig aus dem Haus,
- Und nun klopfte er mir meine Hosen
- Ohne Weiters mit der Reitgert aus.
- Erst als ich die Züchtigung bekommen,
- Und ich sagte, daß ich schuldlos sei,
- War's ihm leid, daß er sie vorgenommen,
- Weil mir alle Mädchen stimmten bei.
- Daß er mich zum zweiten Mal geschlagen,
- Daran war ich freilich selber Schuld;
- Denn ich konnt' die Lection nicht sagen,
- Und deßwegen riß ihm die Geduld.
- Da mein Bruder erst sich widmen sollte
- Dem Geschäft auf der Papierfabrik,
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- Und dabei durchaus nicht bleiben wollte,
- Kam er, sechszehn Jahre alt, zurück.
- Nun denn sollten beide wir studiren,
- Wußten aber noch kein Wort Latein,
- Drum wollt' uns der Vater informiren,
- Was schon früher hätte sollen sein.
- Denn mir war das elfte Jahr vergangen
- Und das sechszehnte dem Bruder schon,
- Als wir beide haben angefangen
- Mit der ersten Declination.
- Und allein mit diesem Decliniren
- War es unserm Vater nicht genug,
- Darum mußten wir auch memoriren
- Täglich Wörter aus dem Wörterbuch.
- Doch es kamen die Latein'schen Brocken
- Mir und meinem Bruder Theodor
- Nebst der Lang's Grammatik gar zu trocken
- Und beinah wie lauter Spanisch vor.
- Da wir nun einmal den Fleiß vergessen,
- Und die Lection gelernt zu schlecht,
- Wurde uns das Peitschchen angemessen,
- Daß es größern Eifer bei uns brächt'.
- Als mein Bruder seine Tracht bekommen,
- Und ich kam als zweiter Sträfling vor,
- Und der Vater kaum mich hergenommen,
- Biß in's Bein ihn unser alter Mohr.
- Knurrend wollte dieser sich erheben,
- Als der Vater meinen Bruder schmiß;
- Als er mir den ersten Schlag gegeben,
- Fühlte er sogleich des Hundes Biß.
- Und die Hiebe, die der Mohr bekommen
- Dafür, weil er helfen wollte mir,
- Hätte lieber ich für ihn genommen,
- Und gelitten für das treue Thier.
- Weil es aber meine Schuld getragen,
- Und empfangen meinen Sündenlohn,
- Wurde ich nun weiter nicht geschlagen,
- Sondern kam mit Einem Hieb davon.
- Bald darauf erkannte unser Vater,
- Unser Bleiben sei für uns nicht gut.
- Und aus eben diesem Grunde that er
- Uns nach Breungeshain in's Institut.
- Bei dem Pfarrer Löber dort verblieben
- Achtzehn Monate wir in der Lehr;
- Was ich davon habe schon geschrieben,
- Will ich hier nicht wiederholen mehr.
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