- Ich griff dieselbe Stelle,
- Die ich bei Käthchen fand,
- Und die mit Blitzesschnelle
- Ich nur zu gut verstand.
- Ihr könnet nach Belieben
- Sie selber sehen ein,
- Ihr findet sie geschrieben
- Sanct Lucä zehn, Vers neun!
- Was wollt ihr dazu sagen,
- Daß jetzt ich ganz genau
- Die Stelle aufgeschlagen,
- Wie bei der ersten Frau??
- Geduldig vierzehn Tage
- Und dreiundzwanzig Stund
- Trug sie der Krankheit Plage,
- Dann — schwieg ihr blasser Mund.
- Denn im zweitletzten Monde
- An dem fünftletzten Tag
- War's, daß sie auf der Sponde
- Als junge Mutter lag,
- Und an dem elften Tage
- Im nächsten Monatslauf —
- Daß ich's genau euch sage —
- Lag sie als Leiche drauf.
- Erschöpft durch Gram und Wachen
- An ihrer Lagerstätt'
- Fiel, als die Kräfte brachen,
- Ich um auf's nächste Bett.
- Bald rief in größten Wehen
- Mir Lina wieder zu:
- „Noch Einmal will sie sehen
- „Dich, eh' sie geh' zur Ruh!“
- Sie konnte nicht mehr lallen,
- Als sie mich jetzt empfing,
- Ihr Aug' mit Wohlgefallen
- Nur noch an meinem hing.
- Wie auch der Anblick quäle,
- Mein Auge ihn noch hält,
- Als ihre freie Seele
- Schon war in jener Welt.
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- „O, könnte Ich erkalten
- „In diesem Augenblick
- „Für sie, und euch erhalten
- „Der Liebe reinstes Glück!
- „Ach, daß nicht hat erhöret
- „Der Herr dies heiße Flehn!
- „Daß er ein Glück zerstöret,
- „Wie ich noch keins geseh'n!“
- Das war der Schwester Klage
- Als still der Athem stand;
- Mir fehlte alle Sprache
- Für das, was ich empfand.
- Wer wägt des Vaters Leiden,
- Deß Augapfel sie war,
- Da die auch schien zu scheiden,
- Die sie ihm einst gebar?
- Am Vierzehnten des Letzten
- Sank in die Gruft ihr Sarg,
- Den an den Ort wir setzten,
- Der schon mein Käthchen barg.
- Ihr Alter dreißig Jahre
- Und achthalb Monde war,
- Die Zeit vom Traualtare
- Elf Monde auf ein Haar.
- Der Pfarrer Reinhard hielte
- Die Leichenrede ihr,
- Und lobte, wie er's fühlte,
- Durchaus sie nach Gebühr.
- Er taufte auch ihr Kleines
- Noch an dem nächsten Tag,
- Wobei indessen Keines
- Ein heit'res Wörtchen sprach.
- Als wir nun daran kamen,
- Wie das Kind heißen sollt',
- Die Großmutter den Namen
- Der Mutter gar nicht wollt'.
- „Wird dieser Nam' verliehen
- „Dem Kind, zwar ah'n ich's blos,“
- Sprach sie, „allein dann ziehen
- „Wir dieses Kind nicht groß!“
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