- Dieß Kind wuchs schlank und kräftig
- Wie eine Tanne auf;
- Sein Sinn war stets geschäftig,
- Voll Federkraft sein Lauf;
- Sein Aug' des Himmels Bläue
- In klarem Spiegel trug;
- Sein Herz in Kindestreue
- Und zarter Liebe schlug;
- Sein Haar in dunklen Wogen
- Floß bis zum Gürtelband,
- Und wo's die Stirn umzogen,
- Es sich in Löckchen wand.
- Wie Lina aufgeschossen,
- Ich dann am meisten fand,
- Wenn unter Schulgenossen
- Sie in der Mitte stand.
- Weil ruhig und bescheiden
- Sie gegen Jedermann,
- Deßwegen auch bei Zeiten
- Sie Jeder lieb gewann.
- Sie war gesund und munter
- Bis zu dem zehnten Jahr,
- Dann aber ging's bergunter
- Mit ihr auch ganz und gar.
- In Aßlar mußt' mit Schrecken
- Und bangem Vorgefühl
- Ich plötzlich einst entdecken,
- Daß Frost sie überfiel.
- In jenem Augenblicke
- Brach ihre Krankheit aus.
- Schon krank ging sie zurücke,
- Doch noch umher zu Haus.
- Am zweiten Tag' indessen
- Legt' sie sich gerne schon,
- Nachdem sie selbst ermessen,
- Daß ihre Kraft entfloh'n.
- Vergebens wir nur harrten
- Auf Hülfe der Natur;
- Drum nahm nach kurzem Warten
- Der Arzt sie in die Kur.
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- Viel Zeit mußt' erst verfließen,
- Bis nur derselbe fand,
- Daß hier in innern Drüsen
- Der Krankheitsstoff bestand.
- Dann nahm genau die Arme
- Ein Jahr lang Medicin,
- Und — daß sich Gott erbarme —
- Da war sie auch fast hin.
- Ich hatt' auch Stabsarzt Meyer
- Nach Doctor Herr gebraucht;
- Es blieb die alte Leier
- Und hatte nichts getaugt.
- Vom sechzehnten October
- Bis wiederum dahin
- Nahm Lina einen Zober
- Voll bitt'rer Medicin.
- Da stellte ich bei Seite
- Nun alle Arzenei'n,
- Und gleich zu meiner Freude
- Sah' ich mein Kind gedeih'n;
- Ja von dem Augenblicke,
- Wo es nichts ein mehr nahm,
- Auch zusehends zurücke
- Die Lebenskraft ihm kam.
- Sie wurde wieder munter,
- Die Wangen, die so hohl
- Gewesen, wurden runder,
- Und Alles ginge wohl.
- Ich fühlte mich so heiter,
- Als sie es selber war,
- Und ahnete auch weiter
- Jetzt keinerlei Gefahr.
- Auf ihres Arztes Rathen
- Ließ ich im nächsten Jahr'
- Sie in Salzhausen baden,
- Wo stets ich bei ihr war.
- Froh kehrten wir zurücke,
- Nur war der eine Fuß
- Am Knöchel etwas dicke;
- Da sprach der Arzt: „Ich muß
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